Lepra gilt als eine der ältesten dokumentierten Seuchen in der Menschheitsgeschichte. Obwohl die vom Erreger Mycobacterium leprae verursachte Erkrankung unter der Bezeichnung "Aussatz" vor allem mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht wird, litten laut genetischen Analysen Menschen in Indien bereits vor 4000 Jahren an Lepra. In altägyptischen mehr als 3000 Jahre alten Papyri ist darüber ebenso nachzulesen wie in Gebetstexten der altorientalischen Hethiter in Kleinasien.

Im Unterschied zu den Pocken, die Ende der 1970er-Jahre in "freier Wildbahn" ausgestorben sind, stecken sich heute noch immer rund um den Globus jedes Jahr fast 200.000 Menschen mit Lepra an. Sie Hauptverbreitungsgebiete sind Asien, Afrika und Südamerika. Eine Infektion mit Mycobacterium leprae führt zum langsamen Absterben von Nervenzellen; das Schmerzempfinden verschwindet, Verletzungen bleiben zunächst unentdeckt und unbehandelt.

Eichhörnchen
Eichhörnchen könnten im Mittelalter zumindest in England zur Verbreitung von Lepra beigetragen haben.
Foto: AP/Dmitri Lovetsky

Seit Jahrmillionen unterwegs

Die infizierten Wunden können schließlich an den betroffenen Körperstellen schwere Schäden verursachen. Dies ist der Hauptgrund, warum man Lepra mit der Vorstellung in Verbindung bringt, die Krankheit würde unweigerlich zum Verlust von Fingern oder Zehen führen. Die durchschnittliche Inkubationszeit beträgt vier bis sechs Jahre, und beginnt man frühzeitig mit einer monate- bis jahrelangen Medikamententherapie, lässt sich Lepra heilen.

Mittlerweile konnten Forschende den Ursprung des Mykobakteriums mehrere Millionen Jahre zurückverfolgen. Welche Rolle Tiere bei der Verbreitung des Bakteriums in den verschiedenen Epochen gespielt haben könnten, ist allerdings bis heute umstritten. 2016 entdeckte jedoch ein Team aus schottischen und Schweizer Wissenschaftern, dass ein hoher Prozentsatz der Eichhörnchen heute auf den Britischen Inseln mit Lepra-Erregern infiziert sind. Hatten die Nager also auch schon etwas mit der Ausbreitung von Lepra im Mittelalter zu tun?

Eichhörnchenknochen aus Winchester
Genetisches Material von Eichhörnchenknochen aus einer mittelalterlichen Kürschnerei in Winchester lieferte Beweise für eine Infektion der Nager mit Mycobacterium leprae.
Foto: Alette Blom, Universität Basel

Menschen- und Nagetierknochen

Eine aktuelle Studie scheint genau darauf hinzudeuten: Möglicherweise hat der Handel mit Fellen des roten Eichhörnchens (Sciurus vulgaris), die aus Skandinavien importiert wurden, zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert zur Verbreitung der Krankheit in England beigetragen. Auch als Haustier könnte der Nager bei der Seuchenausbreitung eine Rolle gespielt haben. Das zumindest lassen die Ergebnisse von Ausgrabungen an zwei archäologischen Stätten in der mittelalterlichen Stadt Winchester in der Grafschaft Hampshire vermuten.

Für die Untersuchung, deren Resultate nun im Fachjournal Current Biology veröffentlicht wurden, analysierte ein Team um Paläogenetikerin Verena Schünemann von der Universität Basel 25 menschliche und zwölf Eichhörnchen-Knochenproben, die an den Grabungsorten in Winchester gesammelt wurden. Die menschlichen Überreste stammen aus einem Leprosarium, einer Pflegeeinrichtung speziell für Leprakranke. Die Knochen von Eichhörnchen fanden sich wiederum an einer mittelalterlichen Kürschnerwerkstatt.

Austausch wahrscheinlich

Die anschließende genetische Analyse ergab, dass Mycobacterium leprae sowohl in den menschlichen als auch in den Eichhörnchenproben vorhanden war. Der Keim dürfte demnach vor rund 1000 Jahre zwischen Menschen und Nagetieren zirkuliert sein. "Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Keimen zeigt uns, dass es wahrscheinlich einen Austausch der Bakterien zwischen Tier und Mensch zu dieser Zeit gab", sagte Schünemann.

Zwischen dem Leprastamm der mittelalterlichen Eichhörnchen und jenem moderner englischer Eichhörnchen ist der verwandtschaftliche Abstand dagegen deutlich größer, wie sich zeigte. Die Gefahr, sich bei den Nagetieren heute mit Lepra zu infizieren, sei daher ziemlich gering, so die Wissenschafter. "Nur sehr wenige Menschen können sich heute überhaupt mit Lepra anstecken, man müsste schon einen längeren Kontakt mit einem infizierten Tier haben", sagte Sarah Inskip, Bioarchäologin an der Universität von Leicester und Ko-Autorin der Studie.

Auf welchem Weg der Austausch im Mittelalter stattgefunden hat, lässt sich heute kaum mit Sicherheit nachvollziehen, erklärte Schünemann. "Wir wissen nicht, ob die Eichhörnchen die Menschen ansteckten oder ob Menschen die Erkrankung zu den Tieren brachten", so Schünemann. "Es könnten aber durchaus in beiden Richtungen Infektionen vorgekommen sein."

Buchseite aus dem Luttrell-Psalter aus dem frühen 14. Jahrhundert
Ein mittelalterliches Buch illustriert den engen Kontakt zwischen Menschen und Eichhörnchen: Der Luttrell-Psalter aus dem frühen 14. Jahrhundert zeigt am unteren Seitenrand eine Dame, die mit einem Eichhörnchen spielt, das ein Halsband trägt.
Foto: British Library Board Ms Add. MS 42130 f. 33r

Pelze und Haustiere

An Berührungspunkten mangelte es im Mittelalter jedenfalls nicht: Zum einen florierte der Pelzhandel, befeuert vor allem von den modischen Bedürfnissen der Königshäuser. So wurden im 11. und 12. Jahrhundert unter anderem Mäntel aus dem Fell der Nagetiere für die Monarchen hergestellt. Zum anderen wurden junge, in der Wildnis gefangene Eichhörnchen damals auch als Haustiere gehalten, beispielsweise von den Bewohnerinnen von Nonnenklöstern.

Die neuen Ergebnisse seien auch für die Behandlung der modernen Leprafälle durchaus relevant, da Tiere als Wirte von Lepra noch immer sehr wenig Beachtung finden, erklärte Inskip: "Vielleicht müssen wir uns die Tiere in der Umgebung von heutigen Lepra-Gemeinschaften genauer ansehen", sagte sie. "Es ist möglich, dass einige dieser Tiere das Bakterium in sich tragen und die Krankheit deshalb dort weiter grassiert." (Thomas Bergmayr, 8.5.2024)