Baumaschinen stehen auf der aufgerissenen Alser Straße, im Hintergrund ist ein Kran zu sehen.
Die Bautätigkeit in und um das Landesgericht für Strafsachen Wien nimmt mittlerweile beachtliche Ausmaße an. Verhandelt wird im Grauen Haus dennoch, zum Beispiel gegen einen 37-Jährigen.
DER STANDARD / moe

Wien – Selbst Verteidiger Christian Werner gesteht in seinem Eröffnungsplädoyer zu, dass es "sehr, sehr massive Vorwürfe" seien, die die Staatsanwaltschaft gegen seinen Mandanten, den 37-jährigen Herrn D., erhebt. Der Angeklagte soll in den knapp drei Jahren Beziehung, die er mit seiner Ex-Freundin und Mutter des jüngsten seiner fünf Kinder hatte, fortgesetzt Gewalt gegen die 26-Jährige ausgeübt, sie bedroht und einmal vergewaltigt haben. Schuldig bekennt er sich einzig zur Drohung, von der eine Videoaufnahme existiert, die anderen Vorwürfe bestreitet der Angestellte.

Recht gesprächig ist der Österreicher vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Stefan Huber nicht. Selbst die von seinem Rechtsvertreter angekündigte zusammenfassende Stellungnahme verliest er nicht. Er verweist lediglich auf seine Aussagen bei der Polizei und kündigt dann an, von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen. Bei der Exekutive hatte D. noch gesagt, die fotografierten Hämatome, Schürfwunden und Würgemale bei seiner damaligen Partnerin würden daher rühren, dass die Frau "eine Vorliebe für harten Sex" habe, darüber hinaus sei sie psychisch krank.

Noch weniger sagt die 26-Jährige bei ihrem Kurzauftritt. Nachdem der Vorsitzende sie belehrt hat, dass sie nicht gegen den Vater ihres Kindes aussagen muss, nimmt sie diese Möglichkeit in Anspruch. Damit ist auch ihre Aussage bei der Polizei für das Gericht nicht verwertbar, wo sie noch erzählte, der vorbestrafte Angeklagte habe ihr teilweise büschelweise die Haare ausgerissen, sie mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen oder gedroht, ihr "das Nasenbein ins Hirn zu rammen".

Beste Freundin sagt aus

Unter normalen Umständen wäre der Prozess hier zu Ende, und D. wäre bis auf die gefährliche Drohung freizusprechen. In diesem Fall gibt es jedoch eine weitere Zeugin: die beste Freundin der 26-Jährigen, die über ihre Beobachtungen und Gespräche mit dem Paar berichten kann.

Die 30-Jährige hatte die Jüngere im Sommer 2021 über die Kinder kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Da man benachbart war, sahen die beiden einander fast täglich. Aufgefallen sei ihr von Anfang an, dass beim Spazierengehen D. alle fünf Minuten seine Partnerin anrief. Die Freundin habe ihr auch von vielen Streitereien berichtet und dass sie Angst vor ihrem Partner habe.

Als zwischen den beiden Frauen größere Vertrautheit herrschte, bekam die Zeugin das volle Ausmaß mit. "Es gab Abende, wo sie mich weinend anrief und ich damit gedroht habe, die Polizei zu verständigen", berichtet sie. Dann wiederum schickte die 26-Jährige ihr Bilder von blauen Flecken und bat die Zeugin darum, diese als Beweise abzuspeichern.

Vorliebe für "gröberen Sex"

Vorsitzender Huber zeigt ihr ein Foto aus dem Akt, auf dem ein Hämatom im Kinnbereich zu sehen ist. "Ah ja, das war das Handy!", reagiert die Zeugin darauf und erinnert sich, dass die Verletzte ihr erzählt habe, D. habe ein Mobiltelefon auf sie geschleudert. "In der Arbeit und zuerst auch mir hat sie erzählt, es sei die Tochter gewesen." Auch über das Sexualleben des Paares weiß die Zeugin Bescheid. "Ja, sie mochte gröberen Sex, aber es gab Grenzen", stellt sie klar. Sie ruft sich eine Begebenheit ins Gedächtnis, als beide Druckstellen auf den Oberarmen hatten, die beim Geschlechtsverkehr entstanden waren. Bei den Verletzungsbildern im Akt sei das aber anders gewesen: "Die rühren nicht vom Spaß her."

In neun Monaten habe sie rund zehn Bilder von Misshandlungsspuren oder die Verletzungen selbst gesehen. "Was war der Grund für die Auseinandersetzungen?", fragt Huber. "Es war alles falsch, was sie gemacht hat. Es war alles schlecht", schildert sie die Sichtweise des Angeklagten. "In jeder Situation bestand die Gefahr, dass es eskaliert." Angriffe gab es demnach für "falsche Antworten" oder wenn die 26-Jährige nach Meinung des Mannes "frech" gewesen sei.

Die Zeugin habe sich schließlich sogar selbst über Hilfsangebote informiert, behauptet sie weiter. Und sogar D., mit dem sie sich gut verstanden habe, habe mit ihr manchmal nach einer Attacke gesprochen. "Er hat dann gesagt, dass es ihm leidtue und er Unterstützung brauche", sagt die 30-Jährige. "Er hat sich auch bei mir entschuldigt, wenn ich mir Sorgen gemacht und mit der Polizei gedroht habe."

Angeklagter widerspricht Zeugin

Verteidiger Werner versucht die Zeugin in ein wahres Kreuzverhör zu nehmen, die antwortet aber durchaus stringent und nachvollziehbar auf seine Fragen. Nach ihrem Abgang bestreitet der Angeklagte ein enges Verhältnis zur Zeugin. "Sie war für mich die Freundin meiner damaligen Partnerin, ich habe mit der Frau nichts zu tun gehabt." Er habe auch nie eine Aussprache mit der 30-Jährigen gehabt, beteuert er. Warum sie lügen sollte, kann er aber nicht begründen.

Schließlich wird noch die Aufnahme des Vorfalls vom 17. Juni 2023 vorgespielt. Zu sehen ist der tobende D. auf der Straße, wie er über den Gartenzaun seine Ex-Freundin beschimpft und bedroht. "Scheißjunkie!" nennt er sie und fordert, dass sie die bereits alarmierte Polizei wieder abbestellen solle. "Ruf jetzt an!", brüllt er mehrmals, "ich schwöre dir, das ist dein letzter Fehler!", droht er.

"Sie wollte mir die Kleine nicht geben", liefert er als Begründung für den Ausbruch und meint damit die Tochter, für die die Frau das alleinige Sorgerecht hat. Und: "Da war ich leider auf Antidepressiva, das war nicht ich", meint der Angeklagte noch dazu. Ganz wesensfremd ist ihm so ein Verhalten aber nicht, wie der Vorsitzende aus dem Akt zitiert. Denn im Herbst 2019 wurde D. wegen vier gefährlicher Drohungen verurteilt – die er gegen seine Ex-Gattin gerichtet hatte. Er werde sie "aufschlitzen und ausbluten lassen", kündigte er beispielsweise damals an.

Trügerische Honeymoonphase

"Wir reden hier von einer typischen Gewaltbeziehung", resümiert der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag. Und erklärt auch, warum Frauen in einer solchen bleiben: "Wir wissen aus Untersuchungen, dass das nach einem bestimmten Muster abläuft. Nach einer Eskalation der Gewalt entsteht eine Honeymoonphase, in der der Mann sich entschuldigt, es bereut, verspricht, es nie wieder zu machen, und außerordentlich nett ist. Dann baut sich die Aggression wieder auf, bis es neuerlich zu einem Ausbruch kommt, gefolgt von einer weiteren Honeymoonphase." Der Ankläger fordert eine Bestrafung, räumt aber ein, dass der Vergewaltigungsvorwurf wegen der Aussageverweigerung der Frau freizusprechen sein wird.

Verteidiger Werner bedankt sich dafür und fordert darüber hinaus auch einen Freispruch vom Vorwurf der fortgesetzten Gewaltausübung. Die dokumentierten blauen Flecken würden allesamt vom Sex stammen, ist er sich sicher. Für den "unglücklichen Vorfall vom 17. Juni", wie er die gefährliche Drohung nennt, bittet Werner um eine Diversion oder eine milde Strafe.

Nach einer guten halben Stunde Beratung verkündet der Vorsitzende das Urteil: D. wird von den Vorwürfen der Vergewaltigung und der fortgesetzten Gewaltausübung freigesprochen, für die Nötigung erhält er sechs Monate bedingte Haft. Zusätzlich wird dem 37-Jährigen aufgetragen, innerhalb eines Monats ein Antiaggressionstraining zu beginnen.

Vorsitzender bedauert Urteil

"Die Drohung ist das Einzige, und das sage ich durchaus mit dem Ausdruck des Bedauerns, das hängenbleibt", begründet Huber die rechtskräftige Entscheidung. Die 30-jährige Zeugin habe man für "ganz glaubwürdig gehalten, Ihrer Verantwortung glauben wir nicht", meint der Vorsitzende zum Angeklagten. Dennoch habe man nicht einmal Körperverletzungen verurteilen können, da die Zeugin ja nicht dabei gewesen sei und man mangels Aussage der Verletzten nicht wisse, was sich genau abgespielt habe.

Eine Diversion oder eine Geldstrafe komme aus Sicht des Gerichts bei einem Vorbestraften nicht mehr infrage. Und auch die Therapie sei nötig: "Sie haben offenbar ein Problem, einen vernünftigen Umgang mit Frauen zu pflegen", fasst der Vorsitzende zusammen. (Michael Möseneder, 27.4.2024)