"Thick Air" (2021) heißt eine Auseinandersetzung Eva Beresins mit der Corona-Pandemie. In einer anderen versetzt Beresin den Homeoffice-Küchentisch kurzerhand in Pablo Picassos "Guernica".
ALBERTINA, Wien

Thick Air, also "dicke Luft", herrscht hier nicht, aber es riecht stark nach frischen Ölfarben in der Ausstellung von Eva Beresin in der Albertina. Die gezeigten Werke sind alle in den letzten drei Jahren entstanden. Thick Air ist als Titel aber einem Gemälde entliehen, das die Corona-Jahre reflektiert. Mit Atemschutzmaske und trotzig vorm nackten Körper verschränkten Armen sitzt die Künstlerin – man erkennt sie in allen Bildern an der runden Brille und dem orangen Dutt – da. Social Distancing als Belastung. Dennoch schaut das riesige Format gar nicht schwer aus, weil es so bunt ist, Kuscheltiere inklusive.

Man darf nur nicht aufgeben, dafür ist Beresin der beste Beweis. Jahrzehntelang hat die 1955 geborene Ungarin, die seit 1976 in Wien lebt, gemalt. Trotz wenig Aufmerksamkeit. Jetzt hat sie ihre erste museale Einzelschau.

Man könnte annehmen, dass das mit einem Ereignis im Jahr 2021 zusammenhängt: Da kam die Wende dank Social Media, was erstaunlich ist, gehört die Künstlerin mit Ende 60 doch nicht zur Zielgruppe. Beresin ist daran nicht unschuldig, bespielt sie die Bilderplattform Instagram doch selbst mit viel Content ("Ich bin süchtig"). So wurde der US-Kurator und Kunstinfluencer Kenny Schachter auf sie aufmerksam, plauderte mit ihr und schrieb eine Liebeserklärung auf ihre Person und Kunst.

Plötzlich sichtbar

Seit damals hat Beresin plötzlich internationale Präsenz: in New York, Amsterdam, Los Angeles. Albertina-modern-Chefin und Kuratorin Angela Stief aber widerspricht, sie hatte Beresin schon davor auf dem Radar. In Wien wird sie seit 2015 nämlich von der Galerie Charim vertreten. Damals zeigte sie Gemälde (Ninety-Eight Pages), die auf einer 2007 gemachten Entdeckung basieren: Damals fand Beresin die Tagebücher, die ihre Mutter verfasst hatte, nachdem sie Auschwitz überlebt hatte. Aus ihnen erfuhr Beresin davon, dass Verwandte im Holocaust ermordet worden waren.

Eine von Eva Beresins 3D-gedruckten und bemalten Skulpturen:
Eine von Eva Beresins 3D-gedruckten und bemalten Skulpturen: "Resting in Ecstasy" von 2023. Die Künstlerin ist oft ihr eigenes Motiv.
ALBERTINA, Wien

Damals habe sich ihr Malen verändert, sagt sie. Sie wurde wilder, schneller. Was Beresin auch lernen musste, weil sie in Ungarn "in einem kommunistischen System Malen gelernt" hatte, wo "viele Regeln befolgt werden" mussten. Jetzt wollte sie sich "nicht mehr zurückhalten – weder technisch noch inhaltlich". Wie ihre Arbeit davor ausgesehen hat, sieht man in der Albertina leider nicht. Überhaupt taucht die auch nicht auf Beresins Website auf. Ein Werkverzeichnis werde angegangen, sagt Stief. Weniger voll, weniger pastos, weniger karikaturesk seien die früheren Arbeiten gewesen.

Schmieren, kneten, rinnen

Die aktuellen jedenfalls knallen, gehen in die Vollen: Farbe wird geschmiert, geknetet, verrinnt. Es sieht ein bisschen aus, als hätte der Expressionismus der klassischen Moderne Speed genommen und sich mit dem Innenleben von Geisterbahnen gekreuzt. Aus der Kunstgeschichte findet man aber auch Leonardo da Vincis Letztes Abendmahl oder Picassos Guernica wieder. Dazu: Rosa Hasen mit riesigen Brüsten, gruselig lachende Esel, leere Augenhöhlen, verrenkte Körper, wie in Comics aufgeblasene Füße und Hände. Wegen all dem wird Beresins Werk gern "grotesk" genannt. Humor ist Bewältigung.

Es ist viel los in den Bildern von Eva Beresin,
Es ist viel los in den Bildern von Eva Beresin. "Under My Skin" (2022), bei dem man durchaus an die Petersburger Hängung in der Kindheitswohnung der Künstlerin in Ungarn denken darf, ist keine Ausnahme.
Peter M. Mayr

Von Traumata zeugen Titel wie Under My Skin und Family Constellation Therapy. Als Belastung erscheint in den Bildern immer wieder Mutterschaft. Gut 30 Werke hängen und stehen in der Schau, denn Beresin wollte wissen, wie ihre Malerei in 3D aussähe. So entstanden 3D-Drucke, die sie mit Acrylfarbe bemalte. Wo die übervollen Bilder oft überfordern, sind die weichen, zerkneteten Silhouetten zugänglicher. Stop-Motion-Knetmassefiguren ähnlich lungert dann eine lebensgroße Frau nackt und offensichtlich erschöpft am Boden und starrt in ihr iPad. Die Präsenz und der Witz verblüffen! Da hat es schon wieder seine Richtigkeit, dass Beresins Entdeckung auf Instagram stattfand. (Michael Wurmitzer, 6.5.2024)